Schlossgespräch

Welche Bildungssysteme braucht der ländliche Raum?

In der anschließenden Diskussionsrunde mit Dr. Anja Durdel, Business Managerin bei der Rambøll Management Consulting GmbH; Hans-Jürgen Kütbach, dem Bürgermeister der Stadt Bad Bramstedt; Hermann-Josef Thoben, dem Vorsitzenden der Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holsteins e.V. und Winfried Zylka, dem Kreispräsidenten des Kreises Segeberg, ging es danach um die Frage, welche Bildungssysteme in ländlichen Räumen gebraucht werden.

Kreispräsident Winfried Zylka stellte zunächst klar, dass seiner Ansicht nach keine Bildungsreform im großen Stil erforderlich sei. Eine grundlegende Weichenstellung sei bereits durch das Schulgesetz von 2007 erfolgt: Alle Kinder mitzunehmen, Übergänge zu glätten und lebenslanges Lernen zu ermöglichen, sei dadurch gesetzlich gut abgesichert.

Eine besorgniserregende Besonderheit des ländlichen Raums sei allerdings die demografische Entwicklung mit dem damit einhergehenden Einbruch der Schülerzahlen. Das Bildungswesen nunmehr entsprechend zu „miniaturisieren“, also mit immer kleineren Klassengrößen zu arbeiten, könne aber keine Antwort darauf sein. Denn zum einen stelle sich hierbei die Kostenfrage und zum anderen erfordere gemeinsames, differenziertes Lernen nun einmal eine bestimmte Mindestzahl von Schülerinnen und Schülern. Es müsse daher ein Kompromiss gefunden werden zwischen räumlich naher Verfügbarkeit der schulischen Angebote und vernünftigen Schulgrößen, um die Qualität der Bildung zu gewährleisten. Dies gelinge derzeit in Schleswig-Holstein gut und keine Grundschule sei aktuell von Schließung bedroht.

Als erfreulich bezeichnete Kreispräsident Zylka, dass viele Kommunen den Wert von Bildung erkannt hätten und bereit seien, für dieses Themenfeld auch Geld auszugeben. Damit aber aus Vernetzung mehr als nur reiner Informationsaustausch, sondern eine richtige Zusammenarbeit entstehen könne, müssten sich die Netzwerkpartner auch auf gemeinsame Zuständigkeiten einigen. Dies erfordere, dass die beteiligten Entscheidungsträger durchaus Souveränität abgeben – ein Schritt, der Überwindung koste und regelmäßig nur dann gegangen werde, wenn die daraus entstehenden Vorteile für alle Beteiligten klar erkennbar seien. Hier gelte es, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Wichtiger Schritt hierzu sei auch der im Juli getroffene Kreistagsbeschluss zur Einführung des datengestützten kommunalen Bildungsmanagements, das zukünftig Ergebnisse transparent machen und faktenbasiertes Handeln ermöglichen werde.

Im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen durch den Zuzug von Flüchtlingen lobte Kreispräsident Zylka  die grandiose Leistung der Helferinnen und Helfer gerade auch im ehrenamtlichen Bereich, forderte aber eine engere Kooperation zwischen der Betreuung der Flüchtlinge und den Bildungsinstitutionen.

Auch Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach forderte dazu auf, sich auf die Schätze zu besinnen, die man in den vorhandenen Strukturen bereits habe.

Insbesondere ließe sich aus den bisherigen Bemühungen eine wichtige Lernerfahrung ableiten: Eine Herausforderung bestehe immer darin, Kooperationsbeziehungen überhaupt erst in Gang zu bekommen. Erster Reflex bei den Kooperationspartnern sei nämlich vielfach ein Gefühl der Überforderung: „ Was soll ich denn noch alles machen?“. Die Erfahrung zeige aber, dass Kooperation eine zeitliche Investition sei, die sich lohne, da man über die Bildungsvernetzung im Gegenzug irgendwann Zeit „geschenkt“ bekomme.

Im Hinblick auf die von Kreispräsident Zylka angesprochene Problematik der einbrechenden Schülerzahlen warf Bürgermeister Kütbach die Frage auf, in welchen Bezügen Lernerlebnisse überhaupt stattfinden könnten. Selbstverständlich mache eine Schule für drei Schülerinnen und Schüler keinen Sinn, Ziel könne aber auch nicht sein, sich bei den Bildungsstandorten auf wenige städtische Kerne zu konzentrieren. Als Mittelweg schlug er vor, Bildungsorte in den Dörfern zu halten, auch wenn diese nicht formal eine Schule seien – ein erfolgreiches Beispiel dafür sei das „Plietschhus“ in Brokstedt.

In der Flüchtlingsfrage stellte er klar, dass seine Definition von „Willkommenskultur“ beinhalte, sich um Menschen kümmern, sobald sie in Deutschland ankommen – und nicht erst, wenn das Bleiberecht abschließend geklärt sei. Bei den Bildungsangeboten für Flüchtlinge seien die richtigen Konzepte vorhanden (z. B. die DAZ-Klassen), jedoch müsse man darauf achten, dass das System nicht „heißlaufe“ vor dem Hintergrund der großen Zahl von Flüchtlingen.

Dr. Anja Durdel schloss sich der Ansicht an, dass wir uns vor der Planung weiterer Schritte klarmachen müssten, was wir haben und welche Ressourcen sinnvoll verbunden werden könnten. Immerhin habe Schleswig-Holstein beim Thema Bildungslandschaften schon früh seine Hausaufgaben gemacht. Schleswig-Holstein sei auch eines der ersten Bundesländer gewesen, die das Thema Schulfusion in die Bildungslandschaften eingebracht hätten. Die grundlegenden Fragestellungen seien also bekannt und größtenteils auch schon „angefasst“ worden.

Allerdings plädierte sie dafür, bei Fragen der Bildung und Teilhabe für alle Generationen stärker als bisher Kreativität zu aktivieren und mehr „außerhalb der Box“ zu denken.

Zudem warf sie die Frage auf, ob wir in Fragen der Begleitung, Fortbildung und Supervision von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Verwaltungsaufgaben gut genug aufgestellt seien. Denn auch und gerade in der Flüchtlingsfrage zeige sich, dass nicht nur Systeme, sondern auch Personen aufgrund der Arbeitsbelastung „heißlaufen“ könnten. Eine andere zugehörige Fallgruppe sei die Arbeit mit hochengagierten Ehrenämtlern, bei denen effektiv verhindert werden müsse, dass diese vor lauter Energie praktisch „verbrennen“.

Hermann-Josef Thoben wünschte sich für die Zukunft Bildung aus „einem Guss“, ausgehend von gleichen Leitbildern und vor allem auch einem gleichen Bildungsverständnis.

Zugleich beklagte er ein Zuviel an Bürokratie im Bildungssystem. Es würden zu wenige Anreize geschaffen, um Bürokratie abzubauen und das Risiko einzugehen, auch einmal neue Wege zu beschreiten.

Gleichzeitig widersprach er Einwänden, dass die Kostenfrage ein limitierender Faktor sei. Geld sei genug im Bildungssystem vorhanden – in Schleswig-Holstein etwa 20 bis 25 Mio. Euro –, es müssten nur die richtigen Prioritäten gesetzt werden.